Brief an Kultusminister Tonne

Die Elternvertreter der KGS Sehnde, KGS Hemmingen, IGS Badenstedt, IGS Roderbruch und IGS Wedemark pünktlich zum Nikolaus 2021 einen offenen Brief den niedersächsischen Kultusminister Grant Hendrik Tonne geschrieben. Begleitet wurde der Brief von einem Beitrag in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ) vom 7.12.2022: https://www.haz.de/lokales/hannover/lehrkraefte-fehlen-gesamtschuleltern-aus-der-region-hannover-schreiben-brandbrief-Y3WT5HBYRS5EGZKLJWA3TR4HIY.html

Der Brief ist unter dem Bild zu finden.

Vorstände der Schulelternräte

KGS Sehnde, Am Papenholz 11, 31319 Sehnde
KGS Hemmingen, Hohe Bünte 4, 30966 Hemmingen
IGS Badenstedt, Plantagenstraße 22, 30455 Hannover
IGS Roderbruch, Rotekreuzstraße 23, 30627 Hannover
IGS Wedemark, Fritz-Sennheiser-Platz 3, 30900 Wedemark

Niedersächsisches Kultusministerium
Herrn Minister Grant Hendrik Tonne
Hans-Böckler-Allee 5

30173 Hannover

Offener Brief zur desolaten Unterrichtsversorgung
an den KGS und IGS in der Region Hannover

Hannover, 06.12.2021

Sehr geehrter Herr Minister Tonne,

vermutlich wird auch in den kommenden Wochen die Pandemie und die 4. Welle unser aller Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Wir als Schulelternräte an verschiedenen KGS und IGS in der Region Hannover wenden uns heute aber mit einem ganz anderen, nicht minder drängenden Problem an Sie.

Wir Schulelternräte wurden von unseren Schulleitungen über die schlechte Unterrichtsversorgung informiert und mussten leider feststellen, dass praktisch alle KGS und IGS in der Region Hannover ähnlich schlecht versorgt sind und die Mangelversorgung zwischen 7% und über 10% liegt.

Zwei Schulen seien an dieser Stelle exemplarisch für nahezu alle anderen in der Region genannt: Die Unterrichtsversorgung an der KGS Sehnde liegt aktuell bei unter 90% (!), an der KGS Hemmingen bei 92,8%. Selbst bei voller Besetzung der aktuell genehmigten Stellen, käme die KGS Sehnde auf einen Wert von nur ca. 96%, die KGS Hemmingen auf 93,8 %. Geleistete Vertretungs- und Überstunden sind hier nicht einmal enthalten.

An der IGS Roderbruch mussten schon zum Schuljahresbeginn die Fächer Kunst – aufgrund der fachspezifischen Unterrichtsversorgung – und AWT – aufgrund des Gesamtschulen diskriminierenden Einstellungserlasses – in mehreren Jahrgängen gekürzt werden. Die aufgrund der Pandemie notwendigen Beschäftigungsverbote für schwangere Kolleginnen lösen nun weitere Kürzungen im Ganztag und beim DaZ-Unterricht aus. Diese treffen besonders Schülerinnen und Schüler, die ohnehin benachteiligt sind.

Ihre auf der Website verfügbare Statistik weist für 2019 für alle Schulen in Niedersachsen noch eine Gesamtversorgung von 99,6% aus, wobei wir natürlich alle wissen, welche Aussagekraft Durchschnittswerte für eine einzelne Schule haben.

Aber ein weiterer Punkt ist in diesem Kontext viel entscheidender. Selbst eine Versorgung von 100% wäre ja, wenn man das Thema Unterrichtsversorgung und Bildung der Kinder wirklich ernst nimmt, niemals ausreichend.

Uns wurde einmal die sehr anschauliche Analogie vermittelt, dass 100% in etwa so sind, als würde Hansi Flick mit 11 Spielern zur WM reisen. Keiner darf sich verletzen, keiner darf krank werden und dass er für jede Position den richtigen Spieler hat, bestimmt der Zufall.

Wir fragen uns daher mit großer Sorge, wie das Kultusministerium eine adäquate Bildung unserer Kinder sicherstellen will, wenn wir, um in der Analogie zu bleiben, mit nur 9 Spielern zur WM fahren.

Uns ist bewusst, dass neue Lehrer nicht „per Knopfdruck“ verfügbar sind und dass Probleme, die heute erkannt werden, vermutlich erst in 8 Jahren wirklich lösbar sind. So lange wird die Ausbildung von neuen Lehrkräften in etwa dauern. Erschütternd in dem Zusammenhang ist doch aber, dass die Landespolitik inklusive dem Kultusministerium viele Jahre sehr erfolgreich weggeschaut haben muss (bitte bedenken Sie dabei auch, dass seit 8 Jahren der Ministerpräsident und auch den Kultusminister von einer Partei gestellt wird). Anders ist für uns die katastrophale Situation heute nicht erklärbar.

Auf Ihrer Website ist unter anderem zu lesen: „Aufgabe der Bildungspolitik und Bildungsadministration mit ihren verschiedenen Akteuren und Zuständigkeiten ist, die Eigenverantwortliche Schule bei der Qualitätsentwicklung durch passende Angebote und Maßnahmen aktiv zu unterstützen und die Wirksamkeit dieser Angebote und Maßnahmen zu überprüfen.“

Als Schulelternratsvorstände an KGS und IGS in der Region Hannover, haben wir gerade vor diesem Hintergrund folgende Fragen an Sie:

  1. Was beabsichtigt das Kultusministerium zu tun, um der eklatanten Unterversorgung an den KGS und IGS entgegenzuwirken?
  1. Warum macht das Kultusministerium es den Gesamtschulen zusätzlich schwer, Stellen zu besetzen, in dem nur Gymnasiallehrer, aber keine GHR-Kräfte eingestellt werden dürfen bzw. GHR-Kräfte erst nach aufwendigen Sondererlassen? So können praktisch seit Jahren keine Techniklehrkräfte mehr eingestellt werden, da dieses Fach auf Gymnasien nicht unterrichtet wird. Die Konsequenz ist, dass an vielen Schulen, z.B. der KGS Hemmingen, Technik, Werken oder auch Hauswirtschaft sowie an der IGS Roderbruch Kunst und AWT nicht oder nur unzureichend unterrichtet werden können.
  1. Wenn bereits heute absehbar ist, dass es in wenigen Jahren keine MINT-Kräfte mehr geben wird und an z.B. der KGS Sehnde absehbar beispielsweise kein Chemieunterricht mehr angeboten werden kann, wie sieht hier das Lösungskonzept des Ministeriums aus?
  1. Welche Maßnahmen hat Ihr Ministerium bereits eingeleitet, um den Beruf einer Lehrkraft und einer Schulleitung in Zukunft für junge Studierende wieder attraktiver zu machen, um überhaupt in der Lage zu sein, aus einer möglichst großen Vielzahl von Studierenden die Besten für Niedersachsen auswählen zu können?
  1. Wie sieht Ihr Konzept aus, mit dem die Schulen die von der Politik gewünschte Inklusion fachlich, personell und menschlich umsetzen können? Wie sollen die Schulen dies bei dem aktuellen Lehrkräftemangel noch zusätzlich stemmen?
  1. Warum verhindert das Kultusministerium die Anstellung von älteren Schülerinnen und Schülern als Nachhilfekräfte mit dem Hinweis auf Kettenbefristungen und dem praktischen Verbot, später im Studium als HiWi beim Land angestellt zu sein? Warum wird hier nicht für Rechtssicherheit gesorgt?
  1. Glauben Sie, dass Ihre Corona-Politik dazu beigetragen hat, dass die Lehrkräfte sich gut geführt und verstanden fühlten? Wenn ja, woran machen Sie das fest? Wenn nein, was gedenken Sie jetzt in der 4. Welle anders oder besser zu machen?
  1. Wie kann es sein, dass auch 2 Jahre nach Beginn der Pandemie, nicht alle Klassenräume mit Luftfilteranlagen und Trennscheiben ausgestattet sind, der Niedersächsische Landtag und Ihre Pressekonferenz aber schneller, als man „Schule“ sagen kann, mit eben diesen Gegenständen ausgestattet wurde? Sind Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler weniger wichtig oder weniger gefährdet als Politiker? Und bitte ersparten Sie uns Hinweise auf bereitgestellte Fördergelder. Es ist ja offensichtlich, dass vielleicht sogar gut gemeinte Instrumente ihre Wirkung verfehlt haben, wenn nach wie vor kaum Klassenräume mit Luftfiltern ausgestattet sind. Wäre es Ihnen wirklich ernst gewesen, wäre es sicher in einem wohlhabenden Land wie Niedersachsen möglich gewesen, Schulen so auszustatten, wie den Landtag oder Ihre Pressekonferenz.

Sehr geehrter Herr Minister, wir haben Kopien dieses Briefes an die Bürgermeister der jeweiligen Städte, den Bundesvorsitzenden des VBE, die Elternschaft und die HAZ gesendet. Wir halten es in der Situation für mehr als dringend geboten, dass eine öffentliche Diskussion über die Situation an den niedersächsischen Schulen beginnt.

Wir freuen uns von Ihnen zu hören und verbleiben

Mit freundlichen Grüßen

Die Vorstände der Schulelternräte:

KGS Sehnde:

Andreas Schriegel, Petra Schmidt, Nina Tubbe-Knospe, Christoph Stahl, Arne Petersen

KGS Hemmingen:

Jens Ramhorst, Claudia Roch, Annette Hiemer, Maren Gustaffson, Thomas Mandysch, Katrin Goldstein, Claudia Bösche

IGS Badenstedt

Sandra Ellouati, Susanna Kotte, Katja Huskinson

IGS Roderbruch

Antje Wetterich, Simone Müller-Klatt, Reinhard Hinrichs, Chris Jäger, Claudia Lüdtke, Daniel Malarski, Micha Schmeltzer, Annett Wagner, Christine Weber, Alexander Zawadski

IGS Wedemark

Niels Ove Thomsend


Hier die Antwort des Kultusministers:

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